Wireless #1

Meine Welt entschwindet zwischen den Zeilen meiner eigenen Fiktionen. Ich fühle es in mir und gehe die paar Stufen herunter. Der Untergrund des Bahnhofs offenbart mir einen Wald von Schließfächern, ich bezahle und schiebe das Päckchen hinein, schließe ab und gehe wieder hinaus. Warme, dreckige Luft aus den U-Bahn-Schächten weht mit mir nach draußen. Mein Mantel flattert leicht im Wind, ich bin mir jeden Schritts bewusst und gleite durch die Nacht, wie der Vorbote meiner eigenen Taten.

Die Schlange vor der Disko ist lang. Ich gehe einfach vorbei und stelle mich nach vorne. Irgendjemand berührt meine Schulter, ich sehe einen geöffneten Mund und das Bild von Blut durchflutet meine Gedanken. Ich drehe mich wieder um. Drinnen gehe ich zur Bar, Whisky und Bier, die Tanzfläche ist proppenvoll, die Menge wogt. Ich klettere auf eine der Emporen und schaue auf das Spektakel, die glänzenden Augen, den Schmuck, die polierten Stangen und sehe die Symbole eines ästhetischen Beginns, textuell markiert.

Meine Augen gleiten über die tanzenden Körper, ich zoome heran und in Zeitlupe tauche ich in die halb geöffneten Münder, die Brüste, die sich an den Stangen reiben, die Organe meiner Subjekte ein. Es beginnt.

Written  by Rüdiger Brandis

Weiße Buchstaben tropfen durch mein Sichtfeld, frisch auf der Leinwand meiner Wahrnehmung.

Designed by ME

Der dumpfe Bass beginnt durch meinen Körper zu vibrieren und ich lasse ihn gewähren, den Hass sich endgültig freikämpfen, durch meine Adern fließen, bis es kein Entkommen mehr gibt, keinen Ausweg aus meinem selbstgewählten Spiel. Ein paar Schritte und ich springe über die Brüstung, mein Mantel weht hinter mir, ich lande, rolle mich ab und verschwinde in der Masse, lasse mich von ihr absorbieren, während die Schrift weiter über uns kreist, euer Blick die Körper weiter entblößt, ihre Muskeln und Titten entlanggleitet, virtuelle Hände, virtuelles Verlangen nach der Weichheit, nach der Materie meiner Realität.

Nach etwa einer Stunde entdecke ich mein Ziel. Er sitzt alleine an der Bar, einer von euch, sein Blick fleht nach Aufmerksamkeit. Ich entziehe mich seinem Blickfeld und beobachte, wie er trinkt, kurz tanzen geht und zu seinem Posten des Beistehers zurückkehrt. Ich drehe ihm den Rücken zu, will nicht erkannt werden. Die Barkeeperin lächelt mich an und ich bestelle irgendetwas, als sie sich umdreht, greife ich mir eine der Bierflaschen und verschwinde. Er steht noch immer am Rand. Ein paar seiner Freunde sind aufgetaucht, sein Schauspiel ist durchschaubar, schlecht verborgene Unsicherheit, er wird bald gehen, ich kann es sehen.

Ich folge ihm unauffällig durch den engen Eingang. Er geht in Richtung U-Bahn, ich bleibe ungesehen, fahre in den Keller des Bahnhofs und hole mein Päckchen zurück. Wir fahren im selben Zug, er hat mich noch immer nicht bemerkt. Die Straßen in der Nähe meiner alten Wohnung sind dunkel, jeder Ort würde sich anbieten, aber ich warte. Es muss dort geschehen, wo alles begann. Ich bin inzwischen so nah hinter ihm, dass ich die laute Musik aus seinen Kopfhörern hören kann. Kurz vor der Wohnung bleibe ich zurück, beobachte wie er aufschließt und im Haus verschwindet. Im ersten Stock geht das Licht kurz an, dann wieder aus. Ich stehe im Dunkeln auf der anderen Straßenseite und spüre die altbekannte Aufregung durch meinen Körper strömen. Meine Augen leuchten in einem hellen Rot und mein Hass lässt mein Herz schneller schlagen, das Gefühl überschreitet alle Grenzen, die mir je gesetzt wurden und ich mir selbst gesetzt habe. Ich ziehe mein Packet hervor, mache einen Schritt nach vorne …

Halt!

Ich bleibe stehen und verschwinde wieder im Schatten.

Dieser Moment ist wichtig, er wird einzigartig sein, mein Leben bestimmen.

Wer bin ich?

Der Mittelpunkt dieser Geschichte, der Mittelpunkt der Welt.

Aber dieser Moment verlangt eine Pause.

Ich setze mich auf die niedrige Mauer und schaue euch an.

Ihr wisst nicht, was ich vorhabe. Ihr wisst nicht, was ich mache oder wer ich bin. Nun in diesem Augenblick ist es mir klarer, als je zuvor, doch das heißt nichts, denn ich kann machen, was ich will. Ich kann werden, wer ich will, ändern was ich will. Aber diese Macht ist trügerisch, abhängig vom Urheber der weißen Schrift. Dem, der den Anfang und das Ende bestimmt und selbst nur auf der Basis dessen schreibt, was ihm gegeben wurde.

Nur dieses eine Mal brauche ich eure Hilfe. Euren Ratschlag, was zu tun, als nächstes, oder für immer …

Das Päckchen liegt in meinen Händen und ich ziehe vorsichtig die Schleifen auf, entwickle den Stoff und ergreife fest den Griff den kalten Griff der Maschine, die mir als Werkzeug meiner letzten Konstruktion dienen soll.

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