Letzte Wohnung

Lue verlässt ihre letzte Wohnung nach einem starken Regen. Licht aus tausend Reflektionen tanzt die leere Straße auf und ab, eine feuchte Stille, die nur vom Zufallen der Tür hinter ihr kurz durchbrochen wird. Lue blinzelt und erst jetzt realisiert sie, dass sie obdachlos ist, ohne Job, ohne Wohnung. Sie zieht ihren Koffer an sich und versucht zu überlegen, wohin sie gehen soll.
Im Zug stellt sie sich schlafend und heute hat sie Glück. Noch sieht sie nicht zu heruntergekommen für den Schaffner aus. Sie gleitet dahin und die Frage mit ihr.

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Reflex

Der Andere stand gestern wieder am Strand, er kommt seit Wochen und immer gegen Abend. Plötzlich taucht seine Gestalt zwischen den Bäumen am Ufer auf und verharrt ohne eine Bewegung, bevor sie wieder verschwindet. Seine lautlose Annäherung verrät ihn, denn die anderen Schaulustigen geben sich niemals die Mühe leise zu sein, und erst durch seine Vorsicht bin ich auf ihn aufmerksam geworden. Manchmal bin ich mir fast sicher, er weiß von mir. Sein Schauspiel ist nur für mich, eine schweigsame Konversation über die Tiefe des Sees, seine Wellen und das Wabern des Mondlichts, das nie bis an sein Gesicht gelangt. Er ist mein Bruder auf der anderen Seite, ein stummer Wächter, der hofft, dass seine Funktion niemals herausgefordert wird.

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